Die Klage eines Online-Händlers auf Entfernung einer negativen Amazon-Bewertung und ca. 70.000 Euro Schadensersatz ist in zweiter Instanz gescheitert.

Nach dem Kauf eines Fliegengitters für 22,50 Euro über Amazon und dem erfolglosen Versuch, das Fliegengitter nach Anleitung zusammen zu bauen, hatte der Käufer eine negative Bewertung abgegeben. Später war dem Händler sein Account bei Amazon gesperrt worden, wodurch ihm angeblich ein erheblicher Schaden entstanden ist. Diesen Schaden wollte der Händler nun ersetzt haben.

Mit Beschluss vom 12.02.2015 hat das OLG München die Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen.  Dies war dem Kläger zuvor schon mit einem Hinweisbeschluss angekündigt worden.

Das Berufungsgericht hat auch zu inhaltlichen Fragen Stellung genommen, so dass der Entscheidung auch Bedeutung über den Fall hinaus zukommt.

Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze:

  • Alle Aussagen des Käufers in den Bewertungen sind aufgrund des Gesamteindrucks als Meinungsäußerungen anzusehen, auch wenn sie einzelne Tatsachenbehauptungen enthalten.
  • Soweit in den Meinungsäußerungen nachprüfbare Tatsachenbehauptungen enthalten sind, sind diese Behauptungen des Käufers nachweislich richtig. Das Gericht stellt ausdrücklich fest, die Montageanleitung ist falsch, bei wörtlicher Befolgung wird der Rahmen zu kurz.

Im Einzelnen:

1. Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung?

Der Bewertungskommentar ,,in der Anleitung steht ganz klar, man muss den Innenraum messen, das ist falsch! Damit wird das Ganze zu kurz!“ ist insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen, auch wenn er nachprüfbare Tatsachenbehauptungen enthält.

Entscheidend ist, dass nicht die Tatsachenbehauptung, sondern das Werturteil im Vordergrund steht. RA Alexander Meyer, Anwalt des Käufers, erklärt dazu:

„Der Senat bestätigt bei dieser Beurteilung unsere Auffassung, dass es bei der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung entscheidend auf den Gesamtzusammenhang ankommt. Es dürfen nicht einzelne Teile der Aussage aus dem Zusammenhang gerissene und dann isoliert betrachtet werden.“

Weil der Beklagte mit seiner Bewertung zum Ausdruck bringt, dass er die Montageanleitung für falsch hält, stellt sich laut OLG die Formulierung insgesamt als wertende Beurteilung und damit als Meinungsäußerung dar.

2. Ist die Montageanleitung nun falsch oder richtig?

Das OLG führt dazu recht eindeutig aus:

„Des Weiteren ergibt das Studium der vom Kläger selbst vorgelegten Montageanleitung, dass diese tatsächlich unrichtig ist.“

 „Die konsequente Befolgung dieser Anleitung führt jedoch zwingend dazu, dass, wie vom Beklagten vorgetragen, ,,das Ganze zu kurz“ wird.“

 3. Die Aussage: „Er will sich dazu lieber nicht äußern…“

Schließlich wurde vom Händler die Aussage angegriffen: ,,ich habe beim Verkäufer angerufen, Fazit: Er will sich dazu lieber nicht äußern, allein das ist eine Frechheit“.  Tatsächlich hatte es vor der Bewertung E-Mail-Korrespondenz und ein Telefonat wegen der aufgetretenen Probleme zwischen Händler und Käufer gegeben. Deshalb war der Kläger der Ansicht, die Aussage „er will sich dazu lieber nicht äußern“ sei eine falsche Tatsachenbehauptung und somit angreifbar.

Das OLG hat auch hier eine geschützte Meinungsäußerung angenommen, obwohl der Verkäufer nicht jegliche Äußerung verweigert hat.  Rechtsanwalt Alexander Meyer erklärt dazu:

„Entscheidend ist neben dem Eindruck, den die Bewertung bei einem unbeteiligten Leser hervorruft, auch die subjektive Wahrnehmung der geschilderten Situation durch den Käufer. Dieser hat auf seine Fragen zwar Reaktionen in Form von nutzlosen allgemeinen Hinweisen erhalten. Der  Verkäufer ist aber auf die konkreten Fragen gerade nicht eingegangen und hat keine konstruktive Hilfe angeboten.“   

 4. Und was ist mit den 70.000,- Euro Schadensersatz?

Zur allgemeinen Frage, ob ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommt, wenn eine Bewertung doch rechtswidrig ist,  äußert sich das OLG nicht.

Rechtsanwalt Alexander Meyer weist allerdings darauf hin:

„Wenn ein Händler nachweisen kann, dass ihm wegen einer unzulässigen negativen Bewertung tatsächlich ein Schaden entstanden ist, wird er diesen auch einklagen können. Das dies gelingt, ist allerdings wenig wahrscheinlich.“

 5. Fazit

Die Entscheidung stärkt die Meinungsfreiheit und bringt für die Formulierung von Bewertungen folgende Erkenntnis:

  • Wenn der Bewertungstext und das Umfeld, in dem er veröffentlicht wird, den Eindruck einer Meinungsäußerung hervorruft, dann fällt der gesamte Bewertungstext unter den Schutz der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG.
  • Es ist kaum möglich, aus einem so geschützten Text untergeordnete Teile als falsche Tatsachenbehauptung rechtlich anzugreifen. Das gilt selbst dann, wenn es sich bei Teilen der Äußerung wirklich um belegbar falsche Aussagen handelt!
  • Nur derjenige, der bei Bewertungen in erheblichem Umfang unwahre Behauptungen aufstellt oder beleidigend wird, kann zum Widerruf gezwungen werden.
  • Das Risiko, wegen einer negativen Bewertung Schadensersatz in größerem Umfang zahlen zu müssen ist sehr gering und nur in Ausnahmefällen vorstellbar. Sollte dieser Fall eintreten, müsste eine Haftpflichtversicherung, bei der auch Vermögensschäden abgedeckt sind, den Schaden übernehmen.

 


Noch ein paar FAQ:

Was hat eigentlich der Rechtsstreit bislang gekostet?

Die Prozesskosten für beide Instanzen belaufen sich auf etwa 20.000,- Euro. Wird die Entscheidung rechtskräftig, muss dies komplett der Händler übernehmen.

Warum taucht im Urteilskopf eine „Nebenintervenientin“ auf?

Hier handelt es sich um die Haftpflichtversicherung des Käufers. Nachdem die Klage mit einer Schadensersatzforderung von bis zu 70.000,- Euro erhoben worden war, wurde dies der Haftpflichtversicherung gemeldet, von dieser jedoch zunächst abgelehnt. Nach einer Deckungsklage gegen die Haftpflichtversicherung wurde der Anspruch  von der Versicherung anerkannt. Wäre der Käufer des Fliegengitters also tatsächlich verurteilt worden, hätte den finanziellen Schaden die Haftpflichtversicherung übernommen.  Aus diesem Grund ist die Versicherung dem Prozess beigetreten.

Ist die Sache damit zu Ende?

Der Händler kann noch bis ca. 15. März 2015 entscheiden, ob er in Revision zum Bundesgerichtshof geht.

Wird die Entscheidung irgendwo veröffentlicht?

Ja, hier: Entscheidung des OLG München vom 12.02.2015 (27 U 3365/14)

Was für weitere Informationen gibt es zum Fall?

 Und wie passt diese Entscheidung zu dem kürzlich entschiedenen Fall, in dem ein eBay-Händler erfolgreich gegen eine negative Bewertung geklagt hatte?

Lesen Sie dazu unsere Besprechung der entsprechenden Entscheidung hier (mit Link zum Volltext des Urteils)