Das Kartellrecht wird meist nur in Verbindung mit international agierenden Konzernen wahrgenommen – etwa wenn gegen Microsoft mal wieder wegen unzulässiger Gestaltung seiner Software von der EU-Kommission ein Bußgeld in Höhe hunderter Millionen Euro verhängt wird.

Tatsächlich bietet das Kartellrecht aber auch im alltäglichen Geschäftsleben zahlreiche Handhaben gegen das Verhalten von Unternehmen, die ihre Marktmacht gegenüber meist kleineren Geschäftspartnern missbräuchlich

einsetzen. Ein typischer Bereich, in dem es immer wieder zu unzulässigem Verhalten kommt, ist das Verhältnis zwischen Markenhersteller und Einzelhändler.

Es ist nicht selten, dass Einzelhändler darum kämpfen müssen, mit Waren bestimmter wichtiger Marken beliefert zu werden. Oft versuchen gerade solche Hersteller, die über eine besonders starke Marktstellung verfügen – etwa weil sie Marktführer sind oder die Marke besonders bekannt und beliebt ist – den Einzelhändlern unzulässige Bedingungen zu diktieren. Es kommt z.B. vor, dass den Händlern verboten wird, die Waren über eBay anzubieten oder unter der „unverbindlichen“ Preisempfehlung zu verkaufen.

Den wenigsten Händlern ist bewusst, dass diese Praktiken unzulässig sind und sie einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Belieferung mit wichtigen Markenwaren haben können.

Darüber hinaus kann es sogar zu erheblichen Ordnungsgeldern und sogar strafrechtlichen Verurteilungen führen, wenn sich mehrere Lieferanten absprechen, etwa einen Händler nicht mehr zu beliefern, der sich nicht an Preisvorgaben der Hersteller hält.

1. Kartellrechtlicher Belieferungsanspruch

Dieser gesetzliche Belieferungsanspruch ergibt sich aus dem Kartellrecht, genauer, aus § 20 Abs. 1 und § 20 Abs. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).

a) Anspruch gegen Marktbeherrschende Unternehmen

Nach dem Gesetzestext besteht der Anspruch auf Belieferung mit Markenware dann, wenn es sich um ein „marktbeherrschendes Unternehmen“ handelt. Ohne weitere Prüfung wird gesetztlich vermutet, dass eine solche marktbeherrschende Stellung vorliegt, wenn ein Unternehmen einen Marktanteil von einem Drittel hat (§ 19 Abs. 3 GWB). Problematisch kann hier allerdings die Frage werden, auf welchen Markt man sich bezieht (Schuhe, oder Sportschuhe, oder nur Jogging-Schuhe?).

b) Anspruch wegen sortimentsbedingter Abhängigkeit

Der Anspruch auf Belieferung mit Markenware besteht aber nicht nur dann, wenn es sich um Waren eines Marktführers mit besonderer Marktmacht handelt.

In der Praxis weit häufiger wird der Fall vorkommen, dass ein Hersteller auf die Waren eines bestimmten Herstellers – der vielleicht nicht unbedingt marktbeherrschend ist – deshalb nicht verzichten kann, weil in dem Fachbereich nur sehr wenige Hersteller existieren.

Der Anspruch besteht bereits daher bereits dann, wenn es sich um Waren handelt, die im Sortiment des Händlers von den Kunden regelmäßig erwartet werden.

Wenn beispielsweise ein Sportfachgeschäft mit einer besonderen Ausrichtung auf Outdoor-Sportarten einen sehr bekannten und verbreiteten Hersteller von Rucksäcken nicht im Sortiment hat, dann macht das keinen guten Eindruck bei Kunden. Es wird erwartet, dass in einem Segment, in dem es vielleicht drei große und vier weitere kleinere Hersteller gibt, jedenfalls die drei großen Hersteller von einem Fachgeschäft geführt werden. Außerdem ist es wegen der bekannten Gewohnheit von Sportlern, bewährten Marken treu zu bleiben, für die Händler regelmäßig schwierig, einem Kunden das Produkt eines anderen Herstellers zu verkaufen, wenn der über lange Jahre gute Erfahrungen mit dem Produkt eines bestimmten anderen Herstellers gemacht hat.

Auch die Werbung eines Unternehmens kann einem Markenartikel auf dem Markt eine so wichtige Stellung verschaffen, dass er von den Endkunden als mit anderen Artikeln nicht austauschbar angesehen wird. Dies wurde beispielsweise bejaht im Fall des Ski-Herstellers Rossignol, obwohl dessen Marktanteil lediglich 8 Prozent betrug

2. Recht zur Verweigerung der Belieferung

Ein grundsätzlich gegebener Belieferungsanspruch kann vom Hersteller allerdings dann verweigert werden, wenn für eine Lieferverweigerung sachliche Rechtfertigungsgründe bestehen. Als sachlicher Rechtfertigungsgrund kommt grundsätzlich etwa ein Produktionsengpass in Betracht. Produktionsengpässe berechtigen jedoch nicht dazu, bestimmte – unliebsame – Händler gar nicht mehr zu beliefern und diese so zu diskriminieren. Das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot fordert in derartigen Situationen vielmehr, dass die Produktionsengpässe bei allen belieferten Händlern zu einer anteilig entsprechenden Kürzung der Liefervolumina führt.

Eine sachliche Rechtfertigung kann in der Regel auch nicht darin gesehen werden dass ein Händler nicht an einem bestimmten vom Händler gewünschten System zur Zahlungsabwicklung teilnimmt.

Von der Rechtsprechung wird selbst mangelnde Bonität eines Händlers nicht als Grund für eine Lieferverweigerung als ausreichend angesehen, vielmehr gebietet es in diesen Fällen das Kartellrecht, den fraglichen Händler weiter zu beliefern. Allenfalls kann der Lieferant vom

Händler Vorkasse verlangen.

3. Gerichtliche Durchsetzung

Der kartellrechtliche Belieferungsanspruch kann in dringenden Fällen auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Hier ergeben sich allerdings einige Schwierigkeiten bei der juristischen Formulierung des genauen Antrags – daher sollte unbedingt ein spezialisierter Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz mit der Geltendmachung derartiger Ansprüche beauftragt werden.

Natürlich kann auch im Hauptsacheverfahren auf Belieferung geklagt werden – allerdings ist hier eine sehr konkrete Formulierung des Belieferungsanspruchs notwendig.