Nachdem der BGH bereits mit Urteil vom 07.Mai 2014 (IV – ZR 76/11) entschieden hat, dass das Widerspruchsrecht bei nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung auch über die Jahresfrist nach § 5 Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. hinaus bestehen bleibt, hat die Rechtsprechung über die Anforderungen an den Belehrungstext weitgehend entschieden.

Der aktuelle Streitpunkt und Einwand vieler Versicherer betrifft nunmehr die Frage der „Verwirkung“ des Widerspruchsrechts. Diesem Einwand liegt der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB zugrunde. Die Versicherer berufen sich oftmals auf einen Beschluss des BGH (Beschl. v. 27. Januar 2016 – IV ZR 130/15), und führen verschiedenste Umstandsmomente ins Feld, nach denen es dem Versicherungsnehmer verwehrt wäre, sein Widerspruchrecht auszuüben.

Doch welche Umstandsmomente begründen eine solche Rechtsausübung entgegen Treu und Glauben?

In dem zitierten Beschluss des BGH wurde die Verwirkung für den Fall angenommen, dass der Versicherungsnehmer in engem zeitlichen Zusammenhang zum Abschluss des Versicherungsvertrages die Versicherung als Kreditsicherungsmittel einsetzte und auch die Todesfallleistung abgetreten hatte.

Hierdurch wollte der BGH aber nicht zum Ausdruck bringen, dass ein Einsatz der Lebensversicherung als Kreditsicherungsmittel immer zur Verwirkung des Widerspruchsrechts führt. Vielmehr kam es dem BGH auf die weiteren Umstände, wie etwa einem engen zeitlichen Zusammenhang oder einer mehrfachen Abtretung an.

Dies hat der BGH im Urteil vom 01. Juni 2016 (IV – ZR 482/14) sodann auch klargestellt. Ausdrücklich heißt es hierin, dass der Einsatz der Lebensversicherung als Kreditsicherungsmittel nicht als besonders gravierender Umstand, der dem Versicherungsnehmer die Ausübung seines Rechtes verwehrt, gewertet werden muss. Es bleibt demnach der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten, unter welchen Umständen die Verwirkung angenommen werden kann.

Dieser Vorgabe des BGH folgen die Gerichte in ihrer Rechtsprechung, und beurteilen die Umstandsmomente nach ihrer Einschätzung im Einzelfall.

Das OLG Karlsruhe (Urt. vom 6. Dezember 2016 – 12 U 137/16) hat Verwirkung angenommen in einem Fall, in dem der Versicherungsnehmer nach Abschluss einer Lebensversicherung sechs Jahre später eine weitere Versicherung bei dem Versicherer abgeschlossen hat und diese dann später beide zur Sicherung eines Darlehens eingesetzt hat. Hierbei wurde ausdrücklich auch die Todesfallleistung abgetreten und nach Kündigung und Abrechnung der Verträge bestätigte die Darlehensgeberin, dass sie keinerlei Rechte und Ansprüche mehr aus den beiden Versicherungsverträgen herleiten würde.

Demgegenüber liegt keine Verwirkung vor, wenn der Versicherungsnehmer mehrfach den Versicherungsmakler wechselte und die jeweils beauftragten Makler Ansprüche auf die Bestandscourtage für den Vertrag anmeldeten (BGH Urt. v. 21. Dezember 2016 – IV ZR 399/15).

Ebenfalls keine Verwirkung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer die Verträge „insgesamt gelebt“ hat, indem er während der Vertragszeit das Bezugsrecht änderte, eine neue Einzugsermächtigung erteilte, die Zahlungsweise abändern ließ und Auskünfte zu voraussichtlichen Ablaufleistungen und Rückkaufswerten erbat (KG Berlin Urt. v. 31. Januar 2017 – 6 U 30/16),

oder wenn der Versicherungsnehmer erst vier Jahre nach Kündigung den Widerruf erklärte oder eine mehrjährige Korrespondenz wegen des Rückkaufswertes mit dem Versicherer führte (KG Berlin Urt. v. 28. Februar 2017 – 6 U 65/16).

Schließlich hat sich das KG Berlin (Urt. v. 28. Februar 2017 – 6 U 86/16) auch gegen eine Verwirkung ausgesprochen im Falle der Inanspruchnahme einer Vorauszahlung mittels Darlehens auf den Versicherungsvertrag unter den Voraussetzungen, dass der Versicherungsnehmer nicht alle Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verpfändet hatte, sondern nur in Höhe der Forderung aus dem Darlehensvertrag und dass er die Rechte nicht an einen Dritten, sondern an die Versicherung abgetreten hatte.

Es zeigt sich, dass eine pauschale Formel, in welchem Fall das Widerrufsrecht verwirkt ist nicht möglich ist. Eine Beurteilung erfolgt durch tatrichterliche Einschätzung im Einzelfall. Dennoch lassen sich der Rechtsprechung Anhaltspunkte entnehmen und eine Einschätzung durch Beratung von einem kundigen Rechtsanwalt vornehmen.